Notwehr im österreichischen Strafrecht
Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine rechtswidrige Handlung ausnahmsweise gerechtfertigt sein und damit von der Rechtsordnung gebilligt werden. Ein Beispiel für eine solche rechtfertigende Situation ist die Notwehr. In diesem Artikel werden wir uns mit den wesentlichen Aspekten der Notwehr auseinandersetzen, angefangen bei den rechtlichen Grundlagen bis hin zu praktischen Beispielen, um einen aussagekräftigen Überblick zu vermitteln.
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste auf einen Blick
- Geregelt in § 3 StGB (Strafgesetzbuch)
- Voraussetzungen für Notwehr: gegenwärtiger oder unmittelbar drohender rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut.
- Notwehrfähiges Rechtsgut: Leben, Gesundheit, körperlicher Unversehrtheit, sexueller Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit oder Vermögen
- Nur notwendige Verteidigungshandlungen sind erlaubt, um Angriff endgültig und sofort abzuwehren.
- Das schonendste Mittel unter den verfügbaren sollte verwendet werden.
Rechtliche Grundlage und Voraussetzung der Notwehr
Geregelt ist die Notwehr in § 3 StGB (Strafgesetzbuch). Diesem zufolge müssen für das Vorliegen einer Notwehrsituation folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- gegenwärtiger oder unmittelbar drohender
- rechtswidriger
- Angriff
- auf ein notwehrfähiges Rechtsgut
3 Abs 1 StGB: Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren. Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.
Beispiel: A trifft in einer Bar auf seinen Nachbarn B, mit dem er seit Jahren in Rechtsstreitigkeiten verwickelt ist. A beginnt mit B erneut einen Streit und verpasst ihm einen Faustschlag ins Gesicht.
Angriff – gegenwärtig oder unmittelbar drohend
Von einem Angriff ist dann auszugehen, wenn durch ein menschliches Verhalten die Beeinträchtigung eines notwehrfähigen Rechtsguts zu befürchten ist. Es muss also eine konkrete Gefahr vorliegen, um einen Angriff zu bejahen. Hierbei ist von den Vorstellungen des Angreifers und nicht des Angegriffenen auszugehen, wobei die Beurteilung im Voraus (ex ante) zu erfolgen hat.
Beispiel: Ein Jogger wird plötzlich von einem Hund angefallen. Hier liegt kein Angriff vor.
Anders verhält es sich bei diesem Beispiel: Als A und B in Streit geraten, hetzt A seinen Hund auf B. Hierbei handelt es sich um einen Angriff.
Von einer Notwehrsituation ist ab dem Zeitpunkt auszugehen, in welchem ein Angriff unmittelbar droht. Hierfür ist es erforderlich, dass sich der Wille zum Angriff in der Außenwelt manifestiert. Eine Notwehr ist dann zulässig, wenn ein Angriff im engen zeitlichen, örtlichen und funktionalen Rahmen folgen soll. Eine zur Notwehr berechtigende Situation ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine wirksame Verteidigung später nicht mehr möglich und daher bereits sachlich geboten ist.
Beispiel: Droht A dem B, in seinen 50 Kilometer entfernten Heimatort zu fahren, um aus seinem Haus einen Baseballschläger zu holen, am nächsten Tag zurückzukehren und den B damit zu verprügeln, ist eine Notwehr nicht zulässig. Hier müsste man sich vorab an die zuständigen Behörden wenden. Geht er lediglich ins Nebenzimmer, um unmittelbar bewaffnet zurückzukehren, wird die Situation anders beurteilt werden müssen.
Der Angriff ist noch nicht abgeschlossen und damit gegenwärtig, wenn weitere Rechtsgutbeeinträchtigungen oder Intensivierungen derselben zu befürchten sind.
Rechtswidrigkeit
Damit Notwehr gegen einen Angriff zulässig ist, muss dieser rechtswidrig sein. Der Angriff muss pflichtwidrig sein, was einen Handlungsunwert (vorsätzliches oder zumindest objektiv sorgfaltswidriges Verhalten) voraussetzt. Sofern Rechtfertigungsgründe vorliegen, liegt keine Rechtswidrigkeit vor. Beispielsweise ist keine Notwehr gegen Notwehr erlaubt.
Notwehrfähiges Rechtsgut
Notwehr ist nur zur Verteidigung eines in § 3 StGB aufgezählten Rechtsgutes erlaubt:
- Leben,
- Gesundheit,
- körperliche Unversehrtheit,
- sexuelle Integrität und Selbstbestimmung,
- Freiheit oder Vermögen.
Notwendigkeit der Verteidigungshandlung
§ 3 StGB kann entnommen werden, dass nur solche Verteidigungshandlungen zulässig sind, die auch notwendig sind. Darunter versteht man, dass der Angegriffene nur zu jenen Mitteln der Verteidigung greifen darf, welche den Angriff zwar endgültig und sofort abwehren, jedoch unter den zur Verfügung stehenden das schonendste darstellt.
Grenzen der Notwehr
Ist das zur Abwehr verwendete Mittel gar nicht notwendig (siehe oben) oder ist nicht (mehr) von einer Notwehrsituation auszugehen, spricht man von Notwehrüberschreitung.
Erfolgt ein derartiger Notwehrexzess lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken, dann liegt Strafbarkeit vor, wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit beruht und auch die fahrlässige Begehung des Delikts (zB Körperverletzung) strafbar ist.
Ein weiteres Beispiel wäre die sogenannte Notwehrprovokation, bei welcher ein Angriff herbeigeführt wird oder vermieden hätte werden können. In solch einem Fall trifft den Angegriffenen zunächst die Pflicht, dem Angriff auszuweichen.
Ist es offensichtlich, dass durch einen Angriff nur geringe Nachteile drohen, dann muss die Verteidigungshandlung darüber hinaus angemessen sein. Droht bloß ein geringer Nachteil und wird auf einen solchen Angriff unangemessen reagiert, spricht man von Unfugabwehr.
Beispiel: A schießt dem flüchtenden Taschendieb, der 50 Euro entwendet hat, mit einem Gewehr in den Rücken. Diese Verteidigungshandlung entspricht nicht der Angemessenheit und ist somit nicht durch Notwehr gerechtfertigt.
Noch Fragen?
Die rechtlichen Regelungen bezüglich Notwehr sind von Natur aus komplex und erfordern ein tiefes Verständnis der gesetzlichen Bestimmungen. Im Falle von Fragen oder Unklarheiten ist es daher äußerst ratsam, sich an einen Rechtsanwalt zu wenden, um fundierte rechtliche Beratung zu erhalten.
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Quellen
Fuchs/Zerbes, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 11 Auflage (2021)
Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 13. Auflage (2021)
RA Mag. Theresia Koller
Rechtsanwaltskanzlei Koller
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